Der Bürstädter Wald im Klimastress

Hessen Forst ist zu unserer großen Freude am 1. Juli unserer Bitte nachgekommen, uns Bürger*innen auf einer Waldexkursion mit dem Fahrrad über den Zustand des Waldes zu informieren. Drei Fachleute von Hessen Forst haben uns die Situation eindrucksvoll erläutert, die Strategie von Hessen Forst beschrieben und unsere Fragen beantwortet. Silke Birgit Renz von den Grünen hatte die Initiative ergriffen und alle Bürger*innen waren eingeladen und viele sind auch mit ihren Fahrrädern gekommen, zum Teil auch mit Kindern.

Ralf Schepp (Links), Alexander Schwanke (Mitte) und Armin Stoll (Rechts)
Ein Teil der Besucher der Exkursion
Uwe Koch, Silke Birgit Renz, Ralf Schepp, Alexander Schwanke und Moritz Müller

Grundwassermesstelle

Zunächst fuhren wir zur Grundwasser-Messstelle 544026.

Lage der Messstelle
Historie der Grundwassermesstelle 544026

Hier erläuterte uns Herr Schepp die Grundwasserproblematik unseres Waldes:

Bis zu den 1960er Jahren lag der Grundwasserstand ca. 2-3 Meter unter der Geländeoberkante (GOK). Oberhalb des Grundwasserstandes steigt das Grundwasser über Diffusionsprozesse noch etwa 0,5 Meter auf. Ausgewachsene Bäume können Grundwasser bis zu einer Tiefe von ca. 2,5 Meter gut erreichen. Bis in die 1960er Jahre hinein hatten ausgewachsene Bäume also eine hervorragende Wasserversorgung aus dem Grundwasser. Dementsprechend haben diese alten Bäume sich an diese Situation angepasst und eher nicht so intensives Wurzelwerk ausgebildet. Unser Wald ist eine wesentliche Ursache für die hohe Qualität des hiesigen Grundwassers, mit geringer Belastung an Schadstoffen.

In den 1960er Jahren wurde politisch entschieden, das reichlich vorhandene sehr hoch qualitative Grundwasser unserer Region zur Versorgung der Rhein-Main Region abzupumpen. Dadurch sank der Grundwasserspiegel seit den 1960er Jahren ab. In den 1970er Jahren überlagerte sich dies mit wetterbedingt relativ niederschlagsarmen Jahren, so dass der Grundwasserspiegel um 1970-1980 ganz besonders stark sank.

Niederschlagsdaten des deutschen Klimaatlas (Deutscher Wetterdienst)

Seither hat sich der Grundwasserspiegel auf einem niedrigeren Pegel eingependelt. Es existieren nun Rheinwasser-Versickerungsanlagen, unter Anderem bei Lorsch, mit denen ein weiteres extremes Absinken des Grundwasserspiegels verhindert wird. Viele Bürger*innen haben in den 1980er Jahren leichtfertig ihre Häuser unter der Annahme gebaut, dass der Grundwasserspiegel nicht wieder steigen würde. Eine Anhebung des Grundwasserspiegels so hoch, dass der Wald wieder Zugang zum Grundwasser hätte, würde bei diesen Gebäuden zu Bauschäden führen und ist daher nicht geplant.

Beim aktuellen niedrigen Grundwasserspiegel ist es für den Wald nicht mehr wichtig, ob der Grundwasserspiegel ein wenig höher und niedriger ist, weil der Wald ohnehin keinen Zugang zum Grundwasser mehr hat. In den letzten 3 Jahren ist der Grundwasserspiegel stark gefallen.

Neupflanzung

Umzäuntes Areal, mit neu gepflanzten Bäumen

Dann fuhren wir weiter in ein Areal, in dem die Mehrzahl der Bäume durch die Dürre 2018/2019 abgestorben sind. Hessen Forst hat dieses Areal geräumt und neue Bäume angepflanzt, ca. 4 Verschiedene Baumarten, unter Anderem Eichen. Die noch lebenden Alt-Bäume wurden stehen gelassen, um ein wenig Schatten zu spenden. Es ist zur Zeit nicht klar, welche forstlich genutzten Deutschen Baumarten sich unter den geänderten klimatischen Bedingungen noch bis zur Erntereife bringen lassen.

Ein großes Problem ist die Ausbreitung invasiver Arten, insbesondere der Spätblühenden Traubenkirsche. Diese Strauchpflanze aus Nordamerka wächst schneller als unsere heimischen Forstbäume und wird von der Klimaveränderung begünstigt. Ihr Holz eignet sich aber nicht zur Nutzung. Es ist daher notwendig, über einige Jahre die Traubenkirsche regelmäßig zu entfernen, bis die gewünschten Nutzbäume ausreichend groß sind, um die Traubenkirsche zu überragen und ihre Vermehrung zu behindern.

Ziel der Förster ist es, einen Hochwald zu etablieren mit einer Deckschicht von ca. 25 Meter Höhe aus den ältesten Bäumen und Zwischenschichten aus jüngeren Bäumen. Diese Hochwälder bieten auch die optimalen Voraussetzungen für die Bereitstellung hochwertigen Grundwassers.

Die Traubenkirsche wurde vor einigen Jahrzehnten in der Region als Schutzgürtel um Nadelbaum-Monokulturen angebaut, um die Bekämpfung von Waldbränden zu erleichtern. Von da aus hat sie sich massenhaft verbreitet und gilt jetzt also unerwünschte invasive Art.

Hessen Forst umgibt die Neupflanzungen für einige Jahre mit Drahtzäunen, um Wildverbiss zu vermeiden. Unser deutsches Wild bevorzugt kleine Eichen gegenüber Traubenkirschen, die nur im Notfall gefressen werden. Ohne Schutz hätten die neu gepflanzten Eichen daher keine Chance. Wenn die Bäume groß genug sind, werden die Zäune entfernt.

Die Pflanzungen werden in Reihen angelegt, weil dies die Pflege erleichtert. Angebaut werden nur Pflanzen aus anerkannten Waldschulen, die den Kriterien forstlicher Bäume entsprechen. Unser lokaler Wald hat auch einige anerkannte Waldschulen, insbesondere für Eichen.

Wasserwerk

Im Wasserwerk müssen Anlagen regelmäßig gespült werden. Dabei fällt Spülwasser an, das in einem Waldareal hinter dem Wasserwerk zur Versickerung freigesetzt wird. Weil die Spülvorgänge regelmäßig sind, ist der Wald In diesem Areal hervorragend mit Wasser versorgt. Dadurch kann man ein kleines optimal mit Wasser versorgtes Waldgebiet direkt mit einem daneben liegenden normalen Waldgebiet vergleichen.

Kernbereich

Aufgrund der FSC-Zertifizierung des Holzes von Hessen Forst müssen 10 % der Forstfläche unbewirtschaftet bleiben. Seit einigen Jahren gibt es daher in unserem Wald Bereiche, in denen Hessen Forst lediglich an den Wegrändern für die Verkehrssicherheit des Waldes sorgt.

Die Zertifizierung nach FSC setzt voraus, dass sogenannte Flächen mit besonderer Natur­schutz­funktion und/oder soge­nannte Natur­wald­entwicklungs­flächen im Umfang von 10% der Waldfläche nach­ge­wiesen werden.

https://www.fsc-deutschland.de/preview.fsc-themenpapier-naturwaldentwicklungsflchen.a-1395.pdf

Wir sind also einige Meter in ein solches Waldareal eingedrungen und die Förster haben uns ihre Sicht der Situation erläutert: Die älteren Bäume sterben verursacht durch den Klimawandel zu schnell ab, so dass die invasive Spätblühenden Traubenkirsche sich ausbreitet und die Chance auf eine Naturverjüngung des Waldes behindert. Der Ausgang des Experiments ist noch nicht sicher, aber es deutet sich an, dass diese Vorgehensweise in diesem Gebiet nicht zu einem gesunden natürlichen Wald führen wird.

Die heimischen Bäume versuchen zwar, sich natürlich zu vermehren, scheinen sich aber nicht gegen die Traubenkirsche durchsetzen zu können. Herr Schepp sagte, er würde zur Etablierung eines artenschutzfreundlichen Waldes andere Wege bevorzugen statt den Wald einfach sich selbst zu überlassen.

Kahlschlag

Dann sind wir in der Nähe der Grillhütte in ein kahl geschlagenes Waldareal gefahren. Dieses war zuvor mit Fichten bestanden, die aber erhebliche Schäden aufwiesen.

Wassermangel und hohen Temperaturen schwächen die Bäume, bis sie überall vorhandenen Diplodia-Pilzen oder dem Borkenkäfer keinen ausreichenenden Widerstand mehr leisten können. Sind Bäume an Diplodia-Pilzen erkrankt, müssen sie gefällt werden, damit sie dem Borkenkäfer keine Nahrung bieten.

Herr Schepp erläuterte uns, dass die Förster im Moment nur noch dazu kämen, sich um die dringendsten Aufgaben zu kümmern, und das bedeutet praktisch, dass in diesen Gebieten nichts mehr zu retten sei.

Diese Fläche soll nächstes Jahr mit einem Zaun vor Verbiss geschützt und mit Eichen, Hainbuchen, Kiefern und Linden neu bepflanzt werden.

Fragen und Antworten

FrageAntwort
Was ist ein Waldgebiet materiell wert?Der Flächenwert bei Verkauf eines Waldgrundstücks liegt als grobes Beispiel größenordnungsmäßig bei etwa 1 € pro m², der Baumbestand bei etwa 1,50 € pro m², was je nach Randbedingungen sehr unterschiedlich sein kann. Für den Bürstädter Wald wäre ein Gutachten zu erstellen, um den genauen Wert zu bestimmen.
Der Wald bringt aber erheblichen Nutzen für die Gesellschaft, der in diesen Zahlen nicht ausgedrückt wird.
Wenn Nadelwälder weniger Grundwasserneubildung ermöglichen, und Laubwälder bei uns natürlich sind, sollten wir dann nicht verstärkt auf Laubwälder setzen?Die Kiefer war im Ried in alten Schriften schon vor 1000 Jahren erwähnt worden und passt hierher.
Wird die Waldbrandgefahr in den nächsten Jahren steigen? Muss sich die Bürstädter Feuerwehr vorbereiten?Die Waldbrandgefahr wird voraussichtlich steigen. Die Bürstädter Feuerwehr arbeitet optimal mit Hessen Forst zusammen und macht regelmäßige Übungen, um sich auch auf die geänderte Situation anzupassen.
Was kostet das Setzen eines Baumes und die erste arbeitsintensive Phase?Ca. 4€ für den Setzling, Zäune und den Arbeitsaufwand für das Entfernen der Traubenkirsche in der Anfangszeit.
Gibt es trockengelegte Moorböden im Wald und wie hoch ist der Torf?Bei Lampertheim gibt es einige kleinere Torfflächen, nicht aber im Bürstädter Wald.
Was ist mit dem Saueren Regen, welchen Einfluss haben NOx-Emissionen?Die Probleme mit saurem Regen sind kein Schwerpunkt-Problem mehr, das ist durch die neuen Filtertechniken gelöst. Wir haben immer noch Probleme mit einem zu hohen Stickstoff-Eintrag in den Wald (Nox).
Wie beurteilen Sie die geplante ICE-Neubaustrecke?Die Grundwasser-Absenkung durch den Bau wird für den Wald keine große Bedeutung haben, weil die Pflanzen ohnehin keinen Zugang zum Grundwasser mehr haben.
Aber die zu schlagenden Schneisen machen uns Sorgen, weil dabei der Schirm alter Bäume aufgerissen wird und somit auch im an die Schneisen angrenzenden Wald mit Schäden zu rechnen ist, vergleichbar den Schäden an Waldrändern.
Wir begrüssen daher eine Trassenführung entlang vorhandener Trassen (z.B. A67). Wenn die Trasse überhaupt mitten durch den Wald führen muss, dann sollte der Tunnel im Bergmännischen Verfahren hergestellt werden und nicht in offener Bauweise.
Wird die Holzproduktion hier bei uns in den nächsten Jahrzehnten voraussichtlich sinken.Deutschland verbraucht derzeit je Bürger*in ca. 1m³ Holz, von dem etwa die Hälfte in Deutschland hergestellt wird. Die Holzproduktion wird bedingt durch den Klimawandel voraussichtlich eher sinken. Wegen der FSC-Zertifizierung 10% der Fläche nicht zu bewirtschaften wird dazu führen, dass entsprechend mehr Holz importiert werden muss, was im Mittel weltweit eher weniger nachhaltig angebaut wird als in Deutschland. Die Produktion von Holz wird auch gebraucht, um im Bauwesen die Verwendung weit umweltschädlicherer Materialien wir Stahl oder Beton zu reduzieren.
Was halten Sie von Pellet-Heizungen?Sofern Pellets aus Schnittabfällen hergestellt werden, sind sie nachhaltig. Bei der Verarbeitung von Holz entstehen erhebliche Mengen an Schnittabfällen, die für Pellets und Hackschnitzel benutzt werden können. Wir gehen davon aus, dass Pellets zur Zeit überwiegend aus Abfällen hergestellt werden.
Werden heute gepflanzte Bäume in 100 Jahren erntereif werden?Alexander Schwanke: Wir bauen im Wesentlichen einheimische Gehölze an. Diese werden jetzt nicht mehr als Monokulturen angebaut, sondern in Mischwäldern mit ca. 5 Baumarten. Neue Bäume werden sich niemals an die reichliche Grundwasservesorgung der Vergangenheit gewöhnen und daher intensiveres Wurzelwerk ausbilden. Die Bäume werden daher voraussichtlich in Zukunft weniger erfolgreich über der Erde wachsen, weil sie mehr Kraft für das Wurzelsystem benötigen werden. Diese Vorgehensweise ist unsere Hoffnung für die Zukunft, was aber im zukünftigen deutlich wärmeren Klima geschehen wird, ist unsicher. Es wird auch über die Bepflanzung mit ausländischen Pflanzen, die an wärmeres Klima angepasst sind, nachgedacht.
Könnte man ein Bürgerwaldareal einrichten, in dem jeder Bürger seinen eigenen Baum pflanzen kann?Bäume in einem Forst müssen den Kriterien für Forstbäume entsprechen, entstammen also in der Regel einer Baumschule und sollten nicht von der Bürger*innen ausgewählt werden.
Wir können aber ein Gebiet ausweisen, in dem Bürger*innen Forstbäume selbst pflanzen können oder in denen wir von Spenden finanzierte Bäume pflanzen. Es kommen immer wieder mal Aktionen von Firmen, die mit ihren Mitarbeiten einen Tag Bäume pflanzen kommen oder z.B. ein Metzger hat Geld gespendet. Wir begrüßen solche Aktionen.
Müssen die Bäume so unnatürlich in Reihen gepflanzt werden?Dies erleichtert in den ersten Jahren die arbeitsintensive Pflege. Nach einigen Jahrzehnten sind diese beim Pflanzen nötigen Reihen nicht mehr sichtbar.
Wie ist die wirtschaftliche Verwertung des SchadholzesPraktisch das gesamte Schadholz ist mittlerweile verkauft. Holz von geringer Qualität kann im Wald 1,5 Jahre gelagert werden, ohne dass dies den Preis weiter senken würde.

Spendenaktion

Gegen Ende der Aktion kam die Idee einer Spendenaktion auf, bei der Bürstädter Bürger*innen 4€ je Baum spenden könnten, um Hessen Forst bei der Wiederaufforstung der Waldschäden zu unterstützen. Bürger*innen könnten entweder selbst einpflanzen, oder Geld spenden.

Selbst einzupflanzen stelle ich mir für eine kleine Anzahl von Bäumen, insbesondere zusammen mit Kindern reizvoll vor. Aber so weit ich mich erinnern kann, sind etwa 5,5 Hektar Wald neu anzupflanzen und je Hektar werden ca. 10.000 Bäume benötigt. Das ist mir dann doch ein wenig anstrengend, da spende ich lieber Geld für die Profis von Hessen Forst. Und ich spende lieber 4€ je Baum im Bürstädter Wald als 1€ je Baum in einer umstrittenen Pflanzung von „Plant for the Planet„.

Updates

13.7. stärkere Betonung, dass der materielle Preis nur Beispielhaft ist.

27.7. Lt. Herr Schepp ist nicht die Fichte als Nadelbaum schon seit 1000 Jahren erwähnt sondern die Kiefer.

Siehe auch

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